Keine Hoffnung mehr … Wir sind verloren

Betrifft: Einladung zum Deutsch-Griechischen Dialog am 16.12.2013 durch die Hanns-Seidel-Stiftung

Mit Makis VORIDIS (MP, Vorsitzender der Fraktion „Nea Demokratia“ im Griechischen Parlament), Dr. Otmar BERNHARD (MdL, Staatsminister a.D.), Josef ERHARD (Ministerialdirektor a.D.) u.a.

Liebe F., danke für die Einladung zur oben genannten Veranstaltung,

aber ich denke, dass mit Politikern wie Herrn Makis Voridis kein DIALOG möglich und auch nicht sinnvoll ist, und vor allem, dass Politiker wie Herr Voridis der GARANT dafür sind, dass sich NICHTS in Griechenland verändert. Du weißt es, ich weiß es, alle wissen es: Es bringt gar nichts! Es kann nichts bringen. Politiker wie Herr Voridis haben das „System Griechenland“ mitgestaltet, sie SIND das System – und solche Veranstaltungen finden auf dem Rücken der Opfer dieses „System Griechenland“ statt. Wir sprechen hier über hunderttausende, vielleicht inzwischen Millionen von Opfern dieses „Systems“, die seit drei Jahren zu tun haben mit Verelendung, Hunger, Kälte, Depressionen, Flucht ins Ausland, Selbstmord, Fremdenhass, Tod, mit nicht mehr funktionierenden Sozialsystemen, einem längst kollabierten Rentensystem, einem grassierenden Neofaschismus und Antisemitismus sowie einem selbst moralisch völlig diskreditierten „Pleitestaat“. Die seit Jahrzehnten in Griechenland herrschende Macht-Clique, zu der inzwischen ja auch Herr Voridis gehört, ist genau dafür verantwortlich und hat eins bewiesen: SIE KANN ES NICHT, sie kann keinen Staat führen und kein Land regieren. Sorry, das stimmt zwar, aber richtig ist: SIE WILL ES NICHT. Sie interessiert sich allein für Machterhalt und/oder Geld – und dafür schickt sie – ohne mit der Wimper zu zucken – ein ganzes Volk ins Elend und eine ganze junge Generation in die Pampa … ins Ausland.

Warum mit diesen Politikern reden und ihnen ein „demokratisches Alibi“ geben, ihnen, die sehr effektiv die Demokratie in Griechenland abgeschafft haben? Auch das gehört – bildlich gesprochen – zu IHREM Machterhaltungs-System: Die fünf größten Zeitungen, die fünf größten Fernsehanstalten, die fünf größten Fußballmannschaften, die fünf größten Rundfunkstationen, die fünf größten Baskettballmannschaften gehören den fünf größten Unternehmern des Landes – Reeder, Großverleger, Bauunternehmer etc. – wir kennen sie alle. Da ist Italien mit nur einem Berlusconi ein demokratisches Musterland dagegen. In Griechenland beherrscht diese „systemrelevante“ Clique mindestens 95% der Information, und – über das Entertainment und den Sport – auch die „Seele“ des Volkes. In Griechenland gibt’s keinen „Spiegel“, keinen „der Freitag“, keine „Zeit“ etc. und inzwischen – dafür haben sie ebenfalls gesorgt – auch keine „ARD“, kein „ZDF“ etc.

Genau das ist das Griechenland des Herrn Voridis. Was willst du diesen Politiker-Menschen fragen? Was er unter Demokratie versteht? In Deutschland genügte – zu recht – eine nicht ordnungsgemäße Quellenangabe in einer zehn Jahre alten Dissertation, um den damals beliebtesten deutschen Politiker, den Verteidigungsminister der Bundesrepublik, zu seinem Rücktritt zu veranlassen, und zwar von allen politischen Ämtern. Ebenso genügte ein Wählerverlust (keine Niederlage!) bei der letzten NRW-Wahl, dass der Spitzenkandidat der CDU in NRW noch am Wahlabend von seinem Amt als NRW-Parteivorsitzender der CDU zurücktrat und einen Tag später auch seinen Ministerposten abgab. Und der deutsche Bundespräsident verlor seinen Job wegen 700 Euro. Und so weiter und so fort …, in Deutschland. Herr Voridis sowie seine Parteifreunde und Regierungspartner können darüber nur lachen. Sie haben in Griechenland hunderte nicht aufgeklärte Skandale angehäuft und tun alles, aber wirklich alles, damit sie nicht aufgeklärt werden. (So wird z.B. von den beiden Regierungsparteien dem Antrag des Finanzstaatsanwalts seit zwei Jahren blockiert, die Konten von 500 griechischen Politikern zu öffnen – die unter dem Verdacht der Veruntreuung und Steuerhinterziehung stehen.)

Im Gegensatz zu allen demokratischen Gepflogenheiten beharren die alteingesessenen Politiker in Griechenland auf ihren Machtanspruch und ihre Posten – Politiker, die zu verantworten haben, dass das Land bankrott ist, dass die Arbeitslosigkeit auf 27 % gestiegen ist, dass die Jugendarbeitslosigkeit inzwischen bei 59 % liegt, dass laut OECD-Angaben Griechenland in fast allen Kategorien, die über die Qualität der Arbeit des Staatsapparats Auskunft geben, europaweit das Schlusslicht bildet. Fast alle jetzt Herrschenden wie Antonis Samaras, Evangelos Venizelos, Dimitris Avramopoulos oder Dora Bakojanni etc. etc. sind seit den achtziger Jahren führende Politiker ihrer Parteien, bekleideten wichtige Regierungsämter seit Anfang der neunziger und sind direkt und persönlich verantwortlich für den heutigen Zustand Griechenlands. Aber weder sie noch die anderen Spitzenpolitiker der beiden Herrschaftsparteien haben die Verantwortung für die desaströse Lage, in die sie Griechenland und ganz Europa gebracht haben, übernommen oder gar Konsequenzen gezogen und sich aus der Politik verabschiedet. Selbst nach dem historischen Wahldebakel vom 6. Mai 2012, als zum Beispiel die PASOK von 44% der Stimmen (bei der Wahl von 2009) auf 14% absackte und quasi aufhörte, als Volkspartei zu existieren, lachte anschließend der Parteivorsitzende Venizelos (und jetzige Außenminister) in die Kameras und sagte, er sei der Garant für eine umfassende Reform seiner Partei und kenne den Weg, Griechenland aus der Krise zu führen! Das ist wirklich unvorstellbar und ungeheuerlich.

Liebe F., das sind „korrupte“, verantwortungslose und die Demokratie Hohn spottende Politiker. Und das bedeutet auch: es sind keine guten Menschen. Man möchte nicht von solchen Typen regiert werden, geschweige denn mit ihnen an einem Tisch sitzen und sein Gewissen damit beschmutzen. Mit „man“ meine ich natürlich mich, einen griechischen Vater, der das Glück hat, in Deutschland zu leben und der das Glück hat, dass sein Sohn in London studieren konnte.

Was sollen wir tun? Ich weiß es nicht. Ich kann zumindest etwas Widerstand leisten, indem ich diesen Brief schreibe, einen Film wie RECYCLING MEDEA (www.recycling-medea.com) drehe oder den HOREN-Griechenland-Band mit-herausgebe oder mich bemühe, jungen Menschen, die aus Griechenland nach Berlin exilieren müssen, bei der Job-Suche in Deutschland zu helfen.

Und was kannst Du tun? Du könntest dazu beitragen (wenn Du willst, natürlich), dass es in Zukunft solche unerträglichen Feigenblatt-Veranstaltungen für „kriminelle“ Politiker nicht mehr gibt …
Wir werden in Griechenland von einer oligarchischen Clique regiert, die leider von der deutschen Regierung unterstützt wird, weil diese Clique vorbehaltlos alles tut, was die Troika (also auch Deutschland) verlangt – und sie tut das, um … (das sage ich) … nicht im Gefängnis zu landen. Bis jetzt hat es – mehr zufällig und „ungewollt“ – nur unseren ehemaligen Verteidigungsminister und Vize-Chef der PASOK-Partei erwischt, der sich 2001 von der deutschen Ferrostaal aus Rostock mit 20 Millionen hat schmieren lassen, um für 2,8 Milliarden deutsche U-Boote zu kaufen.

Insofern passen auch die deutschen Ministerialdirektoren und Staatsminister a.D. und auch die Hannes-Seidel-Stiftung ganz gut ins Bild … Wie immer wird sich bei dieser Veranstaltung ein Blabla über euch ergießen, das nichts sagt, nichts will, nichts bedeutet, und nur dazu dient, „staats-tragend“ in trauter griechischisch-deutscher Einigkeit das absolute Desaster, das Leid und den Schmerz, die schreiende Ungerechtigkeit, die tagtäglich in Griechenland passiert, zu übertönen mit einem Schweigen, bestehend aus leeren sowie mit Lügen und Halbwahrheiten behafteten Worthülsen. Und aus diesen Worthülsen bildet sich immer wieder eine ungeheuerliche – und sehr selten in dieser Deutlichkeit ausgesprochene – Behauptung: „Das griechische Volk ist selbst für seine Situation verantwortlich! Wir Politiker waschen unsere Hände in Unschuld.“ Das alles ist einfach nur furchtbar. Das tut in der Seele weh …

Liebe F., … ich weiß, wir sind dem System ausgeliefert. Es ist größer und mächtiger als wir. Wir können nichts tun, außer jeden Tag uns ein wenig dagegen wehren.
Wir Griechen sind so oder so verloren, aber vielleicht überleben wir ja als Volk in der Diaspora noch die nächsten 70 Jahre …

Sorry, ich musste sprechen …
Und verzeih mir diese künstlerisch-emotionale Reaktion,

Asteris Kutulas, 7.12.2013

P.S. Während ich diese Mail schrieb, fiel mir folgende Szene ein: 1988 fuhr ich mit der Straßenbahn Nummer 49 eines Abends von der S-Bahn-Station Pankow Richtung Zentrum. Plötzlich kam ein Mann herein, sah sich in der Straßenbahn um und schrie uns, die Fahrgäste, an: „In Afrika sterben die Kinder und ihr fahrt Straßenbahn!“ Der Mann hatte recht, und irgendwie war ich in jenem Moment sehr glücklich, nicht für dieses Sterben in irgendeiner Weise mit-verantwortlich zu sein.