Liquid Staging Asteris Kutulas Electra 21

Liquid Staging Kino Format & Electra 21

Aus einem Gespräch von Thorsten Schaumann (Künstlerische Leitung Internationale Hofer Filmtage) und Asteris Kutulas (Autor, Filmemacher und Produzent)

Thorsten Schaumann: Asteris, man könnte bei deinem Liquid-Staging-Projekt ELECTRA 21 von einer „fließenden Bühne“ sprechen: vier Kino-Leinwände, die locker an verschiedenen Stellen im Raum drapiert sind, vier Leinwände, die das Publikum, das im Raum ist, umgeben, so dass das Publikum vier verschiedene Filme gleichzeitig erlebt …

Asteris Kutulas: So ist es. Du kannst dich, wenn du willst, auch auf nur einen Film konzentrieren, wobei jeder der vier Filme absolut synchron zum selben Soundtrack ist. Du entscheidest dich als Zuschauer jeden Augenblick, welchen „Film“ du siehst, je nachdem wie du dich bewegst, den Kopf drehst, was du vom Ganzen erfassen willst, erfassen kannst. Das Partizipationslevel ist dadurch sehr hoch, weil du jede Sekunde deinen eigenen „Schnitt“ machen kannst. Am Schluss hat kein Zuschauer dasselbe gesehen, was ich sehr spannend finde.

Thorsten Schaumann: Du hast bei deiner Liquid-Staging-Masterclass im Oktober 2021 in Hof gesagt, dass du das „eindimensionale Sehen“ durch ein „polydimensionales Sehen“ ablösen willst.

Asteris Kutulas: Das „eindimensionale Sehen“ – also, dass man sich hinsetzt und nach vorn auf eine Handlung schaut –, dieses Zuschauen, wie es das seit der Antike gibt und das sich seit dem 18./19. Jahrhundert etablierte, hat meiner Meinung nach kaum noch etwas mit den Seh- und Lebensgewohnheiten der postmodernen Generationen zu tun. In zwei, drei Jahren wird sich durch die Mixed-Reality-Brillen und durch neue virtuelle Produktionen ohnehin ein ganz anderes „Sehen“ herausbilden. Außerdem kommt es zu einer totalen Verschmelzung von Live-Erlebnis und digitaler Welt, was sich z.B. für die Generation Alpha in ihrem TikTok-Universum bereits tagtäglich abspielt.

Mit meinem Liquid-Staging-Konzept mache ich ein Angebot für polydimensionales Sehen als Alternative zum bislang herrschenden eindimensionalen Sehen. Zugleich könnte es ein Konzept für das „Kino 2.0“ sein, das zudem metaverse-ready ist.

Thorsten Schaumann: Was passiert dann mit den traditionellen Entertainment-Formaten, was passiert mit dem Kino?

Asteris Kutulas: Theater, Oper, Kino, Konzert etc., also all diese traditionellen Live-Formate, die wird es weiterhin geben. Aber mit der Zeit werden sie immer „musealer“ und „nischiger“, was nichts Schlechtes ist, sondern schlicht der Lauf der Zeit. Jede Epoche bringt nun mal ihre eigenen Formate hervor. 

Thorsten Schaumann: ELECTRA 21 war für mich eine sehr spannende und neue Erfahrung. Ich stehe in einem Raum, umgeben von diesen vier Leinwänden. Die Musik setzt ein. Schon die ist was Besonderes. Du fragst dich sofort: Was ist das für Musik? Dann muss man sich umschauen: Wo sitze ich denn gerade? Viele verschiedene Eindrücke prasseln auf dich ein. Du versuchst erstmal zu sortieren: Wo läuft welcher Film? Beziehungsweise: Welcher „Film“ läuft insgesamt ab? Schon das ist packend. Und in gewisser Weise auch sehr lustig. Dann drehst du dich weiter herum. Wer ist hinter mir, wer ist vor mir … Lara, Christian, Asteris … Ich schau von einem Film zum anderen. Dann entscheidet man sich manchmal länger für eine Leinwand, um dann wieder hin und her zu switchen. 

Es ist auf alle Fälle ein neues Erlebnis, sehr fordernd und zugleich sehr mitreißend. Etwas, das in Erinnerung bleibt … Für mich haben sich viele Eindrücke nach der Vorführung sortiert, da man nicht auf alle vier Leinwände gleichzeitig schauen kann.

Asteris Kutulas: Nein, das geht nicht. Das muss man auch nicht … Man kann sich einfach „fallen lassen“ in diesen „Raum“ und genießen, sich dem hingeben. Man kann aber auch aktiv werden und sich sagen: Ich experimentiere jetzt, wo ich diese Möglichkeit habe, ich schaue hin und her, mal sehen, was mit mir passiert … So entsteht eine lebhafte Collage im Kopf oder Chaos oder eine strenge Struktur. Vielleicht erlebt man Überraschungen. Du bist umzingelt von Filmen, die alle zu einer Musik passen und thematisch stringent sind. Das ermöglicht ein neues emotionales Storytelling.

Thorsten Schaumann: Die fünfte Ebene, die der Musik, ist sehr wichtig. Hinzu kommt der Raum, das Raumempfinden: Wer sitzt neben mir? Wo passiert gerade was? Ich liebe solche Sachen und bin sehr glücklich, dass wir hier in Hof die Weltpremiere feiern durften! Wir haben viele begeisterte Reaktionen gehabt. Das ist das Wichtigste, denn diese Installation ist fürs Publikum gemacht, ein Angebot an das Publikum.

Asteris Kutulas: Ja, es ist ein Angebot an das Publikum. Und nur eine Möglichkeit, wie man das Liquid-Staging-Konzept anwenden kann.

Thorsten Schaumann: Wie bist du eigentlich auf dieses neue Liquid-Staging-Show-Format gekommen?

Asteris Kutulas: Ich habe zusammen mit dem Künstler Gert Hof – angefangen mit dem Millennium-Event in Berlin – zwischen 1999 bis 2010 weltweit über 40 große Produktionen gemacht. 1999 haben wir die Outdoor-Lichtshow erfunden und waren dadurch gewissermaßen zu Pionieren einer neuen Art von Events geworden. Vor 1999 gab es das nicht, weil nichtmal die Hardware dafür existierte.

Thorsten Schaumann: Wer war Gert Hof?

Asteris Kutulas: Gert Hof kam vom Brecht-Theater und hatte sich intensiv mit dem Medium Licht und mit Musik beschäftigt, u.a. inszenierte er viele Rammstein-Shows. 

Gert hatte 1998 die Vision, die Konzert- und Theaterbühne zu verlassen und Lichtarchitektur am Himmel zu machen, um Hunderttausende Menschen mit „Art in Heaven“ zu entertainen. Genau das taten wir. Ich war Gerts Partner und Produzent. Gert starb 2012 an Krebs.

Ich beschäftigte mich also zwölf Jahre lang mit den visuellen Medien des Entertainments, mit Pyro-Kunst, Video-Content, Nebel-Ästhetik, Laser, Licht, Aerials, Projektionen etc. In dieser Zeit habe ich sehr viel gelernt und mit großartigen Künstlern zusammengearbeitet wie z.B. mit dem Projektionskünstler Ross Ashton aus London.

Dann war ich bis 2019 zehn Jahre lang bei der Pferdshow „Apassionata“, zuerst Executive Producer und dann Dramaturg, was eine ganz andere Schule bedeutete. 

Ich habe versucht, angeregt durch all diese Erfahrungen, die Welt der „Hochkultur“ mit der Welt des „Show-Entertainments“ zusammenzuführen. Daraus resultierte für mich permanent die Frage nach neuen Showformaten fürs 21. Jahrhundert. Und so entwickelte ich vor etwa 10 Jahren mein Liquid Staging Konzept. Das beinhaltet für mich auch ein räumliches Produzieren für ein räumliches Sehen. Für mich war das immer – und zwar bis heute – auch ein Prozess der Forschung.

Thorsten Schaumann: Stillstand ist das Ende. Natürlich soll man auch innehalten, um sich bewusst zu werden: Was mache ich gerade? Wie geht es mir damit? Das ist wichtig, um wieder Kraft zu schöpfen, weiterzugehen und Neues zu vollbringen. Es braucht beides. Das ist unser Prinzip bei den Internationalen Hofer Filmtagen: Wir sind stets bestrebt, neue Dinge auszuprobieren, neue Formate zu entwickeln, technisch neue Wege zu gehen. Darum fand ich dieses Kino-Erlebnis beim Liquid Staging Projekt ELRCTRA 21 so interessant. Es gibt den klassischen Raum und während der Vorführung entscheidet jede Person im Publikum spontan, ob und wann sie ihre Aufmerksamkeit auf welchen der vier Screens richtet. Die Änderung des Blickwinkels kann beliebig oft erfolgen. Somit sieht niemand im Publikum den gleichen Film. Das ist eine neue Art des „Sehens“, eine neue Art von „Kino“.

Danke Thorsten Schaumann für dieses Gespräch und danke Internationale Hofer Filmtage für die Inspiration und die Unterstützung! Danke Giorgos Kolios, Achilleas Gatsopoulos, Peter Hanser-Strecker und all den vielen anderen Mitarbeitern und Unterstützern dieses Projektes.Ina & Asteris Kutulas

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