Recycling Medea – Film-Rezensionen & Kritiken

Recycling Medea | A film by Asteris Kutulas | Music by Mikis Theodorakis | Choreography by Renato Zanella | Written by Asteris & Ina Kutulas | With Maria Kousouni as Medea 

Süddeutsche Zeitung

… Asteris Kutulas hat einen Film über die Krise gedreht, über die Proteste und die Geschichte Medeas, der Kindermörderin im antiken Mythos. Es ist aber kein Dokumentarfilm geworden, sondern eher ein filmischer Essay, eine bildgewaltige Collage, die Protestmärsche und eine Ballettinszenierung der Medea zusammenspannt. Mit erschütterndem Effekt, denn die Präsenz der Primaballerina Maria Kousouni, kombiniert mit den brennenden Strassen Athens, erweist sich als geschickter Kunstgriff mit den entsprechendem Pathos. Und dann ist da noch Mikis Theodorakis, der Komponist, der hier nicht als Urheber des Soundtracks stumm bleibt, sondern auch zu Wort kommt: “Wenn ich heute jung wäre, würden sie mich auch einen Terroristen nennen”, sagt er …
Andreas Thamm, 15.11.2013

cinetastic.de

… Keinen „Opern-Ballett-Film“ habe er drehen wollen, hat Regisseur Asteris Kutulas mit Blick auf die rebellische Haltung seines Essays gesagt. Aber zum Glück ist das nicht die volle Wahrheit. „Recycling Medea“ ist ein Fest für die Sinne, also in gewissem Sinne eben doch auch ein Opern-Ballett-Film. Getragen wird er von der für Theodorakis charakteristischen, wuchtigen Orchestermusik, den lyrischen Gesangsstimmen, der ausdruckstarken Primaballerina Maria Kousouni und den verzauberten Landschaftsszenen mit der „Unschuld“, die ein wenig an die filmische Naturpoesie eines Terrence Malick erinnern. Trotz seiner bewusst modernen Interpretation schlägt „Recycling Medea“ zeitlos-tragische Töne an. Sehr zu seinem Vorteil verlässt sich der Film auf die nie endgültig ausdeutbare Substanz seines Stoffes, der seit mehr als 2000 Jahren Künstler aus allen Gattungen herausgefordert hat.
… Kaum jemand hat bisher so konsequent aus der Sicht der Kinder erzählt, die den Konflikt ihrer Eltern ausbaden müssen, und zwar auf die denkbar grausamste Weise. Wer hat je der Opfer gedacht, wenn er im Theater über die Motive der rasenden Ehefrau rätselte? Wer hat sich vorgestellt, welche Zukunft sie hätten haben können? Welche Träume sie verwirklichen wollten? Die Leerstelle ist nun gefüllt, auf eine ebenso vielschichtige wie eindringliche Weise.
Peter Gutting, 14.9.2021
cinetastic.de

RECYCLING MEDEA | Liebe, Eifersucht, Mord. Verstörende Schönheit, rebellierende Jugendliche, Tanz und Musik. Ein Ballett-Film.

SWR Fernsehen

Recycling Medea ist ein faszinierendes Filmdokument! Eine Film-Collage, die in großartiger Weise die Musik von Mikis Theodorakis, die Ballett-Choreographie von Renato Zanella mit der Krisensituation in Griechenland verbindet. Der Filmessay von Asteris Kutulas überträgt die Geschichte Medeas, der Kindermörderin aus der Tragödie von Euripides vom Jahr 431 vor Christus, auf die heutige Krise in Griechenland als bildgewaltige Collage: Medea rächt sich für die Ungerechtigkeit, die ihr widerfuhr, indem sie ihre Kinder tötet. Zwischen den perspektivlosen Jugendlichen und der Polizei in Athen kommt es zu dramatischen Auseinandersetzungen auf den Straßen. Die Frustration der “verlorenen Generation” trifft auf Polizeigewalt. Verrät der Staat seine Jugend? Und wie rächt sich diese? Der Film hat neben seiner künstlerischen Dimension auch eine “tagespolitische Brisanz”.
SWR, 18.3.2015

FAZ (Premierenkritik)

… Die Schlüsselszene des Balletts ist auch die des gesamten Films, sie ist seine Quintessenz: Jason verstösst Medea, weil er eine Andere heiraten wird. Ein «Wertewandel», der uneingeschränkte Freiheit verlangt. «Wenn du frei sein willst,» prohezeit ihm da Medea, «wirst du deine Kinder verlieren.»

Maria Kousouni, die Primaballerina, ist Athenerin und eine grossartige, eine phantastische Medea. Renato Zanella, dessen meisterliche Choreographien in der Vergangenheit schon in Stuttgart, Berlin und besonders in Wien zu bewundern waren, beherrscht mit seinem Ensemble Kutulas’ Film… Hineingeschnitten in den strengen Totentanz Zanellas haben Kutulas und seine Cutterin Babette Rosenbaum harsche Szenen vom physischen Einsatz der griechischen Jugend gegen die Regierungspolitik. In schwarz-weiss gefilmten dokumentarischen Sequenzen, in denen nur bisweilen das Orange der brennenden Strassen aufleuchtet, lässt Kutulas sie gegen die Staatsmacht ziehen. Es ist dies ein anderes Ballett: Das der trampelnden Polizeistiefel, der leichtfüssigen Turnschuhläufer und das der zu Boden schlagenden, verletzten menschlichen Körper.

Kutulas’ Leistung, die seiner Equipe, ist das nahtlose Zusammenfügen dieser Tanz- und Strassenszenen. Das nahezu wortlose, von Theodorakis’ kraftvoller Musik getragene Erzählen der Geschichte der leidenden Mörderin, das ins Bild gesetzte Auftauchen Medeas aus ihrer grässlichen Vergangenheit, das Hineingeraten des Zuschauers in die scheussliche Gegenwart des alltäglichen Generationenkrieges vor der blendenden Fassade des Parlamentsgebäudes am Syntagma-PLatz …

1.200 Zuschauer, die meisten junge Menschen, waren zur Filmpremiere in das Athener «Theater Badminton» gekommen. Ein gewaltiger Erfolg insofern, als diese Weltpremiere weitgehend ohne Ankündigung, ohne Reklame auskommen musste: Das staatliche Fernseh- und Radioprogramm ERT, das als Werbeträger vorgesehen war, hatte – auf Anweisung der Regierung – mehr als eine Woche zuvor sein Programm eingestellt. Begeistert feierte dieses Publikum nicht nur Kutulas und seine Tänzer, sondern vor allem den greisen Theodorakis, den Helfer in einem Rollstuhl ins Theater geschoben hatten. In eine der wüsten Kampfszenen des Films hineingeschnitten, lässt der 53 Jahre alte Regisseur den 87 Jahre alten Komponisten seufzen : «Wäre ich heute jung, dann würden sie auch mich einen Terroristen nennen.»

Was ist das nun für ein Werk ? Ein Musik- oder ein Ballett-Film? Ein politischer oder ein Dokumentarfilm? Er sei all das und doch nichts von alledem sagt der Regisseur. Doch es ist in dem von ihm gewählten Kontext wohl in erster Linie ein politischer Film …
Hansgeorg Hermann, 4.7.2013
Frankfurter Allgemeine Zeitung

artechock.de

Recycling Medea ist eine Verschmel­zung des klas­si­schen und modernen Tanzes mit aktuellen Bildern von jungen, gegen die Spar­maß­nahmen protes­tie­renden Menschen. »Grie­chen­land mordet seine Jugend, indem es deren Zukunft zerstört«, so die Beschrei­bung des kraftvollen Film­ex­pe­ri­ments … Aus der asso­zia­tiven und von der Musik gelei­teten Montage von Tanz­auf­nahmen mit Bildern von zarten und zornigen Jugend­li­chen entsteht eine filmische, iden­ti­täts­stif­tende National-Hymne über die Ereig­nisse der heutigen Zeit, die in der Krise den Mythos neu erzählt.
Dunja Bialas, 14.11.2013
www.artechock.de

Recycling Medea by Asteris Kutulas & Mikis Theodorakis
Plakatentwurf von Apostolos Tziovaras mit der Tänzerin Maria Kousouni (Photo © by Stefanos Kyriakopoulos) 

plärrer

Die Gesellschaft: dieses machthungrige, seine Kinder mordende Wesen. In diesem Falle Griechenland. Asteris Kutulas sah in Athen vor zwei Jahren die “Medea”-Choreographie von Renato Zanella, Chef des Athener Nationalballetts. Sie inspirierte ihn zu diesem filmischen Experiment, dass er sehr wohl auch als aktuelle Spiegelung der griechischen Verhältnisse versteht: Medea als tragische Figur, die sich mörderisch für den Verrat des Geliebten – aus Habgier und Geltungssucht begangen – rächt. Die großartige Primaballerina Maria Kousouni verkörpert in Zanellas “Medea” die Titelfigur, und sie ist wesentlicher Teil dieses Films, der eigentlich zwei Choreographien zeigt: die künstlerische und die spontane. Kutulas kontrapunktiert nämlich die getanzten Szenen immer wieder mit Aufnahmen von griechischen Jugendlichen bei Protestaktionen wider den Staat, der ihnen die Zukunft geraubt hat …
J.S., 12/2013
plärrer, Nürnberg

Junge Welt

»Recycling Medea« ist ein aufwühlender Film über die kindermordende Gesellschaft von heute… »Der Medea-Film«, sagt Theodorakis, »ist für mich ein griechisches Kunstwerk«. Das stimmt. Und weil es griechisch ist, erzählt es – in großer Manier – vom Ursprung. Von uns allen.
Junge Welt, 27.06.2013 (Feuilleton)

tanznetz.de

Asteris Kutulas Filmgedicht „Recycling Medea“ entwirft konsequent aus dem Blickwinkel der verlorenen Kinder kühne, manchmal kryptische Assoziationsketten. Interagierend mit einer hochkarätig emotionalen Opern-Einspielung führt die Regie die griechische Tragödie (431.v.Chr.) Vers für Vers metaphorisch mit der aktuellen Tragödie Griechenlands und der verlorenen Generationen von Heute zusammen.
Regisseur Kutulas montiert – bestechend in Kameraführung und Bildschnitt − den antiken Mythos im „Ballett als Bühnenstück“ mit dem „Ballett der Straße“ und kreiert durch diese Collage eine völlig andere Art Opern-Ballett-Dokumentar-Kunst-Film …

Doch Kutulas Film dokumentiert nicht das Bühnenstück, sondern konzentriert sich in mehrfachen, teils rätselhaften Brechungen auf die getanzte Tragödie Medeas im Angesicht der Straße mit vermummten Jugendlichen, bewaffneten Hundertschaften und brennenden Autos. Die Zeit der Unschuld ist vorbei. „Recycling Medea“ beleuchtet mehrschichtig Zeiten des Widerstandes, des Schuldigwerdens, der Perspektivlosigkeit. Text- und Bildfragmente (inspiriert von Lars von Trier, Pasolini, Carlos Saura, Theo Angelopoulus u. a.) eröffnen Gedankenräume. 

Die epische Erzählweise wird bis in die Typografie betont; gegen die Härte der Euripides-Zitate sind comic-Zeichen gesetzt. Auch die überraschend interpolierte Zitat-Ebene der 15 Jährigen blonden „Unschuld“ – Bellas innerer Monolog sind authentische Zitate aus dem Tagebuch der Anne Frank 1943/44 – konturiert eine plakative Yellow-press Schönheit als Vision ohne Zukunft …
Zeitübergreifend katapultiert Kutulas´ melancholisches Epos „Recycling Medea“ unterschwellig Grundfragen der menschlichen Schuld der Elterngeneration in die Gegenwart.
Karin Schmidt-Feister, 18.1.2014
www.tanznetz.de

Recycling Medea by Asteris Kutulas & Mikis Theodorakis
Filmstill aus „Recycling Medea“

prinz.de

In seinem ungewöhnlichen Film zieht der Regisseur Asteris Kutulas überraschende Parallelen zwischen einer klassischen griechischen Tragödie und der gesellschaftlichen Tragödie des heutigen Griechenlands. Durch die Kombination aus expressivem Tanz, der zutiefst bewegenden und überaus dynamischen „Medea“-Opernmusik von Mikis Theodorakis und aktuellen Filmaufnahmen von dramatischen Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen und Polizisten in den Straßen Athens, sowie die Einführung weiterer inhaltlicher Ebenen ist eine Filmcollage entstanden, die nicht nur aufgrund ihrer inhaltlichen Komplexität dazu einlädt, den Film wiederholt sehen zu wollen, sondern es ist vor allem die intensive Emotionalität, die bereits viele Zuschauer begeisterte. Für einen Opern-Ballett-Film ist das außerordentlich. Der Regisseur bezeichnete RECYCLING MEDEA allerdings von vornherein als “not an opera ballet film”. RECYCLING MEDEAein faszinierendes Filmdokument, das die Trostlosigkeit einer Gesellschaft reflektiert, die ihre Kinder zu dem gemacht hat, was sie doch niemals werden sollte: die Verlorene Generation.
prinz.de, 01/2014

Provokantes Opus …

Auf der Basis der »Medea«-Choreographie von Renato Zanella, Chef des Athener Nationalballetts, realisierte Asteris Kutulas einen herben Kontrast: getanzte Kunst in Analogie mit der spontanen Choreographie auf der Straße. Junge Griechen, die bei Demonstrationen in Athen wider die Phalanx der staatlichen Ordnungskräfte anrannten – aus Wut über den Verrat an ihrer Zukunft. Mit schier unglaublicher Präsenz und Ausdrucksfähigkeit verkörpert in dem visuell starken Film die Tänzerin und Primaballerina Maria Kousouni die Rache-Elegie der betrogenen Medea und von Mikis Theodorakis stammt die emotionsgeladene Ballettmusik auf der Basis seiner Oper “Medea” nach Euripides…
Plärrer, 01/2014

Berliner Morgenpost

Asteris Kutulas verarbeitet die Krise in seiner Heimat mit einem poetischen Film, der Straßenkämpfe der Jugend mit dem Mythos der Kindermörderin Medea vereint.
Medea windet sich tanzend zur Musik von Mikis Theodorakis. Die mythische Figur ringt verzweifelt mit der Entscheidung, ihre Kinder aus Rache an ihrem untreuen Ehemann zu töten. Schnitt. Tränengas zieht durch das Zentrum Athens. Junge Leute schleudern Brandbomben. Polizisten hinter Schilden. Schnitt. Ein junges elfenhaftes Mädchen auf grünen Wiesen. Die verlorene Unschuld. So wie die Wiege der europäischen Zivilisation in der aktuellen Krise seine Unschuld verloren hat. Die Lage in Griechenland hat Asteris Kutulas zu diesen Bildern inspiriert … Das Resultat dieser Erfahrungen ist kein Spielfilm, kein Ballettfilm und kein Polit-Streifen. Eher eine poetische Collage, ein 76-minütiger Video-Clip …
Joachim Fahrun, 18.1.2014
Berliner Morgenpost

Medeas Schultern

… Der Film zeigt das Medea-Ballett mit der Musik von Mikis Theodorakis und der Choreographie von Renato Zanella. Kampfszenen aus dem heutigen Griechenland zwischen Demonstranten und Polizei sind dazwischen montiert. Der Anne-Frank-Mythos wird eingearbeitet. Das Staatliche Akademische Orchester und der Chor St. Petersburg spielen und singen. Theodorakis dirigiert. Es ist eine gewaltige, eine hinreißende Musik. Kutulas zeigt, wie sich die Tänzer schminken, zeigt den Choreographen, wie er mit den Tänzern arbeitet und wie er seine Intentionen erläutert. Die Musik trägt den Film, wirbelt ihn in virtuelle Höhen und Tiefen. Und, ich scheue mich nicht zu sagen, auch die Schultern der Primaballerina Maria Kousouni tragen den Film. Es sind Schultern von unglaublicher Kraft, Militanz und Verletzbarkeit, Schultern von großem Glanz. Sie symbolisieren die Abgründe des Medea-Mythos und die Wucht, die leidenschaftliche Frauen in die Waagschale zu werfen haben. Das muss man gesehen haben.
Kopkas Tagebuch, Movie Star, 19.1.2014
kopkastagebuch.wordpress.com

Recycling Medea by Asteris Kutulas & Mikis Theodorakis
Plakatentwurf von Apostolos Tziovaras mit Andre Hennicke und Bella Oelmann (Photo © by Ina Kutulas) 

Abendzeitung München (AZ)

Recycling Medea ist ein Filmexperiment … : Die klassische Tragödie um die Zauberin Medea wird verarbeitet, die ihre Heimat verlässt für einen Mann, der untreu wird, woraufhin sie mordet. Durch Verschmelzung von klassischem Ballett, modernem Tanz und aktuellen Bildern vom Zorn junger Menschen in Griechenland entsteht ein künstlerisches Zeitporträt von Griechenland heute.
Abendzeitung München, 1.2.2014

der Freitag

Jede Generation schafft sich ihre eigene Medea. Die Medea meiner Jugend war ein Monument gegen Duldsamkeit. In “Recycling Medea”, einem Film von Asteris Kutulas, vertritt die Ungehaltene Griechenland. Medea ist aber die berühmteste Ausländerin der Weltliteratur, sie folgt Iason und seinen Argonauten aus einem Barbarenreich (in Sicht der Griechen) am Schwarzen Meer nach Iolkos. Da lässt sie sich zur Tänzerin ausbilden: in Kutulas’ Lesart des Mythos. Recycling Medea verschränkt Proben- und Premierenstimmungen einer klassischen Verwandlung des Dramas in Bewegung mit Straßenkampfszenen.

… Jeder wird Recycling Medea als Kommentar zur griechischen Krise deuten. Doch der Film ertrinkt in seinen Bildern. Seine Aspekte erscheinen zunehmend disparat. Collage, Montage. Filmgedicht. Das Kino als Mobile – ich suche ein Wort, das meine Eindrücke rettet. Ich halte mich an Zanella und seine Compagnie. Ich sehe Mythos und Arbeit. Die Frauen gebären “gegen den Anmarsch der Würmer” (Heiner Müller). Medea, “die Kennerin der Gifte”, kriegt spitz, dass ihr Iason zu Glauke geht. Sie leuchtet der Tochter des Kreon heim, wie dann auch allen anderen. Das ist ein Tanz von Kraft um eine Mitte, in der ganz bestimmt kein betäubter Wille steht.
Jamal Tuschick, 20.01.2014
der Freitag

Neues Deutschland

… „Recycling Medea“ beleuchtet mehrschichtig Zeiten des Widerstandes, des Schuldigwerdens, der Perspektivlosigkeit. Die Kinder sind tot, das Land stirbt. Theodorakis mit Gasmaske unter den Demonstranten. Medea schaut in die erleuchteten Theaterränge. Ein Vermummter blickt in die Kamera. Kunst und Realität greifen ineinander. Asteris und Ina Kutulas widmen ihren zeitenübergreifenden melancholischen Film „den Eltern, die ihre Träume verloren haben und der verratenen Jugend, die um ihre Zukunft kämpft.“
Neues Deutschland, 18.01.2014

artechock.de

Manchmal braucht es ein paar Abstrak­ti­ons­ebenen mehr als Geschichts­bücher und Nach­richten, um Ereig­nisse, aktuelle wie histo­ri­sche, annähernd zu begreifen. Mutige Expe­ri­mente der Filmkunst wie “Recycling Medea” nehmen den Zuschauer mit auf solche Ebenen. “Recycling Medea” ist eine multi­me­diale drama­ti­sche Moritat von der Jugend Grie­chen­lands, die die Gesell­schaft im Zuge der Finan­z­krise um ihre Zukunft bringt, wie es Medea in der grie­chi­schen Mytho­logie mit ihren Kindern gemacht hat.
Natascha Gerold, 23.01.2014
www.artechock.de

Sächsische Zeitung

Kunstvolles und Authentisches paart „Recycling Medea“. Der griechische Regisseur Asteris Kutulas, dessen Lebenswege eine Zeit lang gleichsam durch Dresden führten, erschuf einen Hybrid aus Dokumenten, Spiel- und Musikfilm sowie politischer Reportage. Durch die Kombination aus expressivem Tanz, „Medea“-Opernmusik von Mikis Theodorakis, Statements sowie aktuellen Aufnahmen von Auseinandersetzungen zwischen Jugendlichen und Polizisten in den Straßen Athens, zeigt er überraschende Parallelen zwischen einer klassischen griechischen Tragödie und der gesellschaftlichen Tragödie des heutigen Griechenlands.
MkF, 21.5.2015
Sächsische Zeitung

Unsere Zeit

Kutulas’ 2014 fertiggestellter Beitrag „Recycling Medea“ ist ein politisch-künstlerischer Filmessay über die griechische Krise. Er verschränkt den Probenprozess 2012 für das „Medea“-Ballett (Choreographie: Renato Zanella, Primaballerina: Maria Kousouni) mit den heftigen Polizeieinsätzen gegen massive Troika-Proteste in Athen. In der Zeit dieses „abfärbenden“ Erarbeitungsprozesses für die Bühne hatte sich der Komponist im Rollstuhl an die Seite der Demonstranten bringen und schützen lassen. Trotz der damals übergestülpten Gasmaske leidet er bis heute an den Verletzungen durch Tränengas.
Hilmar Franz, 14.8.2015
UZ

Recycling Medea Plakat von Asteris Kutulas
Plakatentwurf von Apostolos Tziovaras mit Bella Oelmann (Photo © by Ina Kutulas) 

Theodorakis, Kutulas und die recycelte Medea

… Es wird still im Publikum, als Asteris Kutulas beeindruckender Film auf die Leinwand geworfen wird. „[E]ine bildgewaltige Collage, die Protestmärsche und eine Ballettinsszenierung der Medea zusammenspannt. Mit erschütterndem Effekt […]“, schrieb Andreas Thamm 2013 in der Süddeutschen Zeitung. Dem möchte ich mich anschließen: Chaos, Krise, Kunst, Medea – und dazu Theodorakis, der einen musikalischen Feuerreigen als Soundtrack geliefert hat, und immer wieder Teil des Filmgeschehens wird. Überwältigt, nachdenklich und ein bisschen ratlos stapfe ich durch die Göttinger Kälte nach hause. Es ist mittlerweile 22 Uhr…

Dennis M. Dellschow, 11.12.2015
Göttinger Kulturbüro

Recycling Medea by Asteris Kutulas & Mikis Theodorakis
Rehearsal Medea ballet with Maria Kousouni, Danilo Zeka & Mikis Theodorakis (Photo © by Asteris Kutulas)

berührend  + faszinierend

… Es ist wirklich ein sehr schöner Film geworden. Es war keinen Moment zu lang oder langweilig. Auch die verschiedenen Situationen waren wunderbar aufgeteilt. Und auch die großartige Primaballerina schaffte es, mit sehr klassischem Tanzvokabular diese schwierige Rolle der Medea glaubhaft rüberzubringen!!! Auch das junge Mädchen als die Unschuldige war sehr berührend + faszinierend. 
Ich kann Ihnen nur wünschen, dass dieser Film viel gesehen wird.

Susanne Linke (Tänzerin & Choreografin), 2014

Recycling Medea Asteris Kutulas
Photo © by Bill Bilias

… wenn die Schönheit verschwindet

Dieser Film könnte als Ergebnis eines idealen wechselseitigen künstlerischen Befruchtung verschiedener Generationen und verschiedener Talente aus den Bereichen Theater, Musik, Tanz und Film gelten.

Es war nämlich Euripides, ein Gigant der Sprachkunst und des Theaters,  der “Medea” schrieb. Nur als Autor solchen Ranges konnte er damals so ein Werk verfassen, ohne gesteinigt zu werden. Auf der Text-Grundlage von Euripides’ “Medea” komponierte Mikis Theodorakis eine dem Theaterwerk ebenbürtige lyrischeTragödie.

Das Wirken dieser beiden Koryphäen war die Basis für das Wirken der Jüngeren. Der Choreograph Renato Zanella interpretiert Theodorakis’ lyrische “Medea”-Tragödie mit seinem Ballett und die fantastische Tänzerin Maria Kousouni tut dies in der Rolle der Medea. Der Regisseur Asteris Kutulas, durchdrungen von einer besonderen Art der Sensibilität, bringt diese Tragödie ins Kino. Er verleiht ihr durch seine filmische Umsetzung eine tiefere gesellschaftliche und politische Dimension.

Der Film von Asteris Kutulas wird seinen Weg nehmen durch die Äonen, zusammen mit Euripides, Theodorakis, Zanella, Maria Kousouni und der Sopranistin Emilia Titarenko. Immer dann, wenn die Überheblichkeit der Mächtigen den Menschen an sich und die Völker erniedrigt, immer dann, wenn die Schönheit verschwindet und die Größe des Individuums schrumpft, werden die Menschen zu diesem Film greifen und ihn sich ansehen, um ihre Schönheit und ihre Größe wiederzuerlangen.

Nikos Tzimas, Regisseur
Athen, Januar 2014

Recycling Medea Asteris Kutulas
Photo © by Stefanos Kyriakopoulos

diastixo.gr: „Auf den Punkt gebracht“ von Ioanna Karatzaferi

In der griechischen Geschichte − wie sie uns in der Schule gelehrt wurde, und auf dem Gebiet der Dramaturgie, was meine Erfahrung als Theater-Gängerin anbelangt − gibt es keine andere „Medea“ vor und nach der von Euripides, wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht. Vielleicht hat diese Tragödie das Wort “Kindsmörderin” überhaupt erst hervorgebracht. Diese Kindsmörderin ist keine Griechin, sondern eine Frau aus Kolchis, im antiken Verständnis Barbaren-Land, Tochter eines Königs, die sich mit ihrem Mann Jason und den beiden gemeinsamen Kindern in seiner Heimat Korinth niederlässt. Der Mythos ist bekannt und dessen mögliche Interpretationen sind unterschiedliche. Euripides‘ vorherrschendes Interesse ist das für die Probleme und die Situation einer Frau in einer von Männern beherrschten Welt.

Als ich den Film “Recycling Medea” sah, fühlte ich die Zeit − oder besser die zeitlose Geschichte – sich zuspitzen und in einem Punkt kulminieren. Ich fühlte die Gewalt, die sich ereignete in der Vergangenheit, und die Gewalt, die sich ereignet in der Gegenwart, zu einem Stream werden und in einem Punkt konzentrieren.
Es geht in „Recycling Medea“ um einen neuartigen Entwurf der Synthese der Künste: der Sprache – obwohl im Film kaum gesprochen wird −, der Musik, der Bewegung.

Die Symbolismen könnte man für beliebige halten; wenn wir aber die Erde als Mutter Erde bezeichnen und dementsprechend das Land, in dem wir geboren wurden, als Mutter Heimat und wenn wir ihr in ihrer Eigenschaft als Mutter wegen der Kriege, in die sie uns stürzt, wegen der Konflikte, wegen der Auseinandersetzungen, wenn wir dieser Mutter Heimat ob ihrer Verantwortungslosigkeit vorwerfen können, dass sie ihre Kinder tötet, dann offenbaren die dokumentarischen Filmaufnahmen, dass die Schlüsselaussagen des Films die Situation des Landes auf den Punkt bringen. Im Film gibt es keine gesprochenen Dialoge. Was man erlebt, das sind die Filmbilder, die Musik, der Tanz. Der Soundtrack des Films − die „Medea“-Musik von Mikis Theodorakis für die gleichnamige Oper − wurde von der Staatskapelle St. Petersburg eingespielt. Jede Note wird zu einer Bewegung; eine untrennbare Einheit.

Die Fingerkuppen der unsichtbaren Musiker − die die Instrumente berühren, um den Klang zu erzeugen − und die Zehenspitzen der sichtbaren Tänzer, sie verbinden sich in ihrer Dynamik, sie wirken zusammen und ergeben ein hochenergetisches Ganzes. Die sichtbare Identifikation der Primaballerina Maria Kousouni mit der Medea-Rolle und die Musik – diese Bilder sind so intensiv und packend, dass das nicht nur Bewunderung auslöst, sondern auch einen inneren Schmerz.

Das Ergreifende der filmischen Bilder und der Musik, sie werden punktuell immer wieder konterkariert von den Szenen des Aufruhrs, der Gewalt, die sich auf den Straßen abspielen. Zeugnisse der konfliktreichen Situation, in der die Bürger leben, die sich gegen die aufgezwungene Sparpolitik erheben, gegen die Macht, die einige ihrer Kinder gegen andere Kinder aufhetzt, Bürger, denen Mikis Theodorakis, wie wir im Film sehen, beisteht. Kutulas‘ Montage-Methode avanciert regelrecht zu einem neuen Regieprinzip, um immer dann, wenn die Dramatik einen Höhepunkt erreicht, einen Moment der Entspannung folgen zu lassen, damit die Zuschauer durchatmen können und dem Film weiter folgen werden, bis zum Schluss dieses ergreifenden / packenden Werks.

Der Film wurde im Apollo-Theater – auch La Piccola Scala genannt − in Ermoupoli auf der Insel Syros gedreht. Auf der Bühne vereinigt Renato Zanella durch seine Choreografie Zeit, Musik, Bewegung, Gefühle, Liebe, Hass, Leben und Tod. Es entsteht eine Zeitbrücke, die herüberreicht aus dem Jahr 431 v. Chr., als „Medea“ von Euripides zum ersten Mal präsentiert wurde, ins Jetzt, nach 2014, wo die „Medea“ von Asteris Kutulas erscheint, die das Konfliktpotenzial von Aufstand und Unterdrückung vor Augen führt.

Dieses grandiose Erleben von Bild, Ton, Farbe und Bewegung, (das durch Worte nicht wiedergegeben werden kann − wie der Geschmack von bitter oder süß, der sich nur durch die tatsächliche sinnliche Erfahrung vermittelt), dieses Gesamterlebnis erzeugt Gefühle, Gedanken und Erwartungen, die ungeheuer packend sind. Dieses Werk markiert eine Wende im Bereich der Ausdrucksmöglichkeiten der Künste und des Kinos, das auch die „siebente Kunst“ genannt wird. Einer der seltenen Augenblicke in meinem Leben, da ich mich tatsächlich sehr glücklich schätze.

Ioanna Karatzaferi, 25.6.2014
diastixo.gr

Recycling Medea by Mikis Theodorakis & Asteris Kutulas

Film der Gegensätze

… Es handelt sich um einen sehr eigenen, besonderen Film, der sich nicht einem der gängigen Filmgenres zuordnen lässt, sondern vielmehr einer dreifachen nicht-linearen Narration folgt, einer narrativen Struktur der Choreographie, der Musik und der Einbindung dokumentarischer Momentaufnahmen, die uns aus der hochästhetischen Welt der Kunst immer wieder in die harte und gewaltsame Realität zurückversetzen, wie sie heute auf den Straßen von Athen in Kameraaufnahmen festgehalten wird.

Der Film ist eine Collage von Szenen, die nicht allein sowohl die urbane Landschaft als auch die Natur, sondern ebenso die Ästhetik des Tanzes und der Musik einzufangen vermögen. Ein Film der Gegensätze, der die Paradoxa und das Erodierende der griechischen Realität widerspiegelt und aufgrund seiner besonderen Ästhetik und der Fragen, die er aufwirft, nur als Kunstfilm bezeichnet werden kann; ein Film, der das Publikum mit Fragen konfrontiert, und dabei überhaupt nicht didaktisch ist …

Eva Kekou, Kuratorin & Kunsthistorikerin, 2016

Recycling Medea | A film by Asteris Kutulas | Music by Mikis Theodorakis | Choreography by Renato Zanella | Written by Asteris & Ina Kutulas | With Maria Kousouni as Medea