Athener Tagebuch, 27.7.2015

Unbeantwortete Fragen

Gestern eine Reihe „erregter“ Unterhaltungen gehabt. Ich werde als in Deutschland lebender Grieche stets in „Haftung“ genommen. Ich hatte auf Fragen keine Antwort, auf die ich selbst gern eine hätte, wie:

1) Die Troika und die deutsche Regierung haben seit 5 Jahren quasi die Wirtschafts-, Sozial- und Finanzpolitik Griechenlands vorgegeben und jedes diesbezügliche Gesetz „vorgeschrieben“. Sie haben jede neue Tranche eines jeden „Rettungspakets“ von Fortschritten abhängig gemacht, z.B. davon, ob die MwSt. auf Diesel für Bauern 13% oder 23% betragen soll, was ein paar Milliönchen einbringt etc. Warum hat weder die Troika noch die deutsche Regierung jemals zur Bedingung für weitere Zahlungen an Griechenland gemacht, dass Gesetze verabschiedet und bilaterale Abkommen mit der Schweiz, Luxemburg, Großbritannien, Lichtenstein etc. getroffen werden, die zur Offenlegung von Schwarzgeldkonten und zur Steuerfluchtbekämpfung geführt hätten? Dafür wäre jeder griechische Bürger und jeder deutscher Steuerzahler der Troika und der deutschen Regierung dankbar gewesen. Martin Schulz behauptete immerhin, allein schon in der Schweiz lägen bis zu 200 Milliarden unversteuertes Griechen-Geld. Da geht es nicht um Millionen, sondern um „richtig Kohle“. (Und warum wurde diese einfache Frage der deutschen Regierung in keiner deutschen Talk-Show und in keinem Zeitungsartikel gestellt?)

2) Warum lässt „Europa“ zu, dass aufgrund einer finanziellen Krise innerhalb der EU täglich Menschen sterben? Warum wird dieses „Europa“, indem es durch aufgezwungene Austeritätsprogramme ganz bewusst z.B. zur Schließung von Krankenhäusern und zum Kollaps aller Sozialsysteme führt, selbst zum „Mörder“? Wieso schweigt die „europäische Familie“ zu diesem alltäglichen Sterben im „Hause ihrer griechischen Verwandten“? Warum verlangt man noch mehr menschlichen Blutzoll, um Banken zu retten und politische Macht ausüben zu können?

Auf diese und andere solcher Fragen kann ich einfach nicht antworten. Sie lassen einen mit der depremierenden Gewissheit zurück, dass es mit dem Kapitalismus nicht mehr so rund läuft und dass unsere Welt aus den Fugen geraten ist. Und dass Griechenland deshalb so schnell wie möglich DIESES Europa verlassen sollte, wenn es irgendwie als eigenständiges, demokratisches Land überleben will.

© Asteris Kutulas, 17.7.2015

 

(Athens Photos © by  Ina Kutulas)