Griechen der Diaspora Asteris Kutulas

Wir Griechen der Diaspora …

Zum 10jährigen Bestehen von EXANTAS und vor allem der gleichnamigen berliner deutsch-griechischen Zeitschrift …

Ich gehöre nicht mehr zur jüngeren Generation – obwohl die Übergänge fließend sind – und noch nicht zur so genannten alten, obwohl auch hier die Übergänge fließend sind. Und in diesem fließenden Prozess verstand ich mein Wirken, und das zusammen mit meiner Frau Ina, immer als ein Kontinuum.

Viele meiner Künstler-Kollegen haben im Bruch mit der Tradition ihre Bestimmung gesehen und ihre Möglichkeit, voranzukommen, was ich nachvollziehen kann. Ich dagegen fühlte mich immer und fühle mich bis heute zugehörig dem Griechenland- und Kunst-Verständnis eines Kavafis, Cacojannis, Seferis, Theodorakis, Ritsos, Chatzidakis, Kunduros, Anagnostakis, Angelopoulos, Tsarouchis, Mikroutsikos, Gavras, Elytis etc. – einem Verständnis, welches beinhaltet, dass sich das bzw. mein Griechisch-Sein über die griechische Sprache und die griechische Kultur definiert. Genau das ist für mich „Heimat“, mein „Land“, meine „Landschaft“. Von hier aus kann ich zurück in die Historie schauen, bis in die Antike und noch weiter zurück in die dunklen Jahrhunderte der chtonischen Zeit vor 1400 v.Chr., und zugleich in die Zukunft, die unsere Gegenwart ist, und in die andere Zukunft, die wir noch nicht kennen.

Aus meiner eigenen Erfahrung als Herausgeber zweier Zeitschriften zwischen 1988 und 1991 weiß ich, wie schwer es ist, streitbar, aber nicht unseriös, kritisch, aber nicht beleidigend, spannend, aber nicht „billig“ zu sein. Diesen Spagat und diese Versuchungen kenne ich gut.

Letztendlich halte ich genau das für das Beste, was möglich ist und wofür ich stets eingetreten bin: eine Vielfalt und Unterschiedlichkeit, die die Möglichkeiten des Dialogs und der Streitkultur ausmachen. Das derzeit für mich Erschreckende ist nämlich, dass ich in der Diskussion zwischen Griechen (auch der Diaspora) erlebe, welcher Dogmatismus herrscht, welche verbalen Erniedrigungen einander zugefügt werden, welcher Starrsinn noch immer besteht, welches Beharren darauf, dass die Ansichten eines anderen nichts wert sind, Schwachsinn oder Gedanken eines „Feindes“ oder gar eines „Verräters“. Denn die Zeiten des Bürgerkriegs und der „unnatürlichen Entzweiung“ sind ja eigentlich vorbei und vieles inzwischen anders, besser, offener. Weil das Einander-Zuhören wichtig geworden sein müsste, die Toleranz. Weil inzwischen klar geworden sein müsste, dass die politische und die emotionale Entzweiung der Griechen das Immunsystem des Landes schwächten und zu zerstören begonnen haben. Dass dieser Prozess nicht weitergetrieben werden sollte. Dass jeder Einzelne sich dem verweigern müsste.

Ich hätte nie gedacht, dass nach so viel Auseinandersetzung in den letzten Jahrzehnten, nach so viel Zeit, in der wir nicht unter Gewehrfeuerbeschuss waren, in der keine Bomben fielen, in der Freunde, Bekannte, Kollegen oder Nachbarn nicht auf Nimmerwiedersehen verschwanden, nach so viel Zeit, die uns gegeben war, um Abstand zu gewinnen, in uns zu gehen, tiefer zu sehen, unsere Ansichten auszutauschen, … dass nach so viel Zeit trotzdem so viel gegenseitige Verachtung, Abschätzigkeit und Hass herrschen und das Haar in der Suppe gesucht wird, während unser Land, Griechenland, das Land, das wir alle so nötig haben, den schlimmsten Niedergang seit dem Zweiten Weltkrieg erlebt und damit ein Verlust von Heimat stattfindet, der vor allem einen Verlust unserer kulturellen Identität und zugleich unserer „Menschlichkeit“ bedeutet.

Ich möchte nicht so weit gehen wie Giorgos Seferis, der am 5.1.1938 in seinem Tagebuch notierte: „Dieses Land, das uns verwundet, uns erniedrigt. Griechenland wird sekundär, wenn man an das „Griechentum“ denkt. Alles, was mich hindert, an das Griechentum zu denken, soll untergehen“, um fast zwei Jahre später sein Leiden an Griechenland noch extremer zu formulieren: „Das, was sich am massivsten bemerkbar macht, ist dieses Faulende, der Gestank eines Kadavers, der dich zu ersticken droht – und die Hyänen … raushängende Zunge, schlaue, erschrockene Blicke. In welchem Winkel dieser Welt ließe es sich noch leben?“ (27.11.39)

Es ist wichtig, dass wir Griechen der Diaspora uns positionieren: als Griechen der Diaspora.

Griechen der Diaspora von Asteris Kutulas
Graffiti Athens (Photo © by Ina Kutulas)

EXANTAS ist eine jener „exterritorialen Vereine“, die ich als Sprachrohr wahrnehme, als ein Medium für eine solche „Heimat“ – für uns Griechen in der Diaspora.

Es ist diese Energie, die ich mir immer wünsche. Eigentlich: dieses Konglomerat, bestehend aus Energie, Konzentration und Arbeit. Viel Arbeit. Heraus kommt dann solch eine Publikation wie die Zeitschrift EXANTAS.

Also, Exantas-Team, macht weiter so! Auf See vergeht die Zeit sehr langsam; an Land weiß man nicht, wo sie geblieben ist.

© Asteris Kutulas – mit einem Beitrag von Ina Kutulas, Juni 2015

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Ein Aroma von Heimat
Die griechische politische Diaspora in den sozialistischen Ländern – von Ina Kutulas

Griechen kamen im 20. Jahrhundert zu verschiedenen Zeiten und aus unterschiedlichen Gründen nach Deutschland – als Gastarbeiter in den 60ern und 70ern, als politische Flüchtlinge während der Zeit der Junta (1967 bis 1974 ), während des Ersten Weltkriegs nach Görlitz (1916) und als Deportierte während des Zweiten Weltkriegs.

Eine besondere Geschichte haben die mehr als 1.200 zumeist Kinder, die als Flüchtlinge nach dem Ende des Bürgerkriegs 1949 in die damalige DDR kamen.

Das Schicksal dieser Bürgerkriegsflüchtlinge soll der Dokumentarfilm „Ein Aroma von Heimat“ thematisieren und den Blick öffnen für ein tragisches Schicksal der jüngeren, noch nicht sehr weit zurückliegenden Geschichte, für eine Epoche, deren Ereignisse und Folgen ursächlich zur gegenwärtigen Krisen-Situation Griechenlands beigetragen haben.

Der Bürgerkrieg (1946-49) verursachte einen tiefen Riss, welcher sich in der griechischen Gesellschaft auftat, die noch schwer litt an den Folgen des Terrors und der grausamen Verbrechen der Wehrmacht und der SS, die während des Zweiten Weltkriegs verübt worden waren. Zehntausende Tote, eine total zerstörte Wirtschaft, zwischenmenschliche Tragödien. Der Bürgerkrieg ließ den Menschen keine Atempause, während anderswo in Europa der Wiederaufbau begann. Der in Griechenland provozierte und geschürte Bürgerkrieg ließ Feindeslinien entstehen, die mitten durch Familien verliefen, nicht selten zwischen dem einen Bruder und dem anderen Bruder. Es war ein Kampf zwischen Linken und Rechten, zwischen Ost und West.

Der Kalte Krieg, der umschlug und in Griechenland auf Leben und Tod geführt wurde, war 1949 Auslöser für einen Exodus von 56.000 griechischen im Widerstand aktiven Partisanen, die mit ihren Familien in den sozialistischen Ländern Asyl fanden. Sie wurden – entsprechend einer Abmachung zwischen den so genannten sozialistischen Bruderparteien – nach einem „Schlüssel“ auf verschiedene Länder verteilt. Eine „politische Diaspora“, einmalig in dieser Art in der neueren Geschichte Europas.

12.000 Griechen fanden Aufnahme in der Sowjetunion, die meisten davon in Taschkent, 9.000 in Rumänien, 12.000 in der Tschechoslowakei, 11.5000 in Polen, 7.300 in Ungarn, 3.000 in Bulgarien, 1.100 in der DDR.

Die Besonderheit: In die DDR kamen vor allem griechische Kinder in Begleitung einiger Lehrer und erwachsener Betreuer. Die meisten von ihnen wurden untergebracht in Radebeul bei Dresden, einige auch in Leipzig, Erfurt, Zwickau, Chemnitz, Magdeburg, Brandenburg, Berlin, Saßnitz. Auf das Schicksal dieser in der DDR aufwachsenden griechischen Kinder, die später eine Berufsausbildung machten oder studierten, arbeiteten und Familien gründeten, konzentriert sich der Film.

Es waren 1.200 Einzelschicksale – Menschen, die über lange Zeit jedes neue Jahr begrüßten mit dem sehnsuchtsvollen Silvester-Spruch: „Und nächstes Jahr in der Heimat“.

1.200 Einzelschicksale in einer „Zwischenwelt“. 1.200 Menschen, die lebten mit dem Bild von einer Heimat, die es so nur in der Vorstellung, niemals aber in der Realität geben konnte, mit dem Traum von einer „neuen“ eigentlichen Heimat, was diese Menschen jedes Jahr hoffen ließ, ihr „Übergangszuhause“ endlich verlassen zu können

1.200 Menschen, die aus einem von Krieg und Bürgerkrieg zerrütteten Land hatten fliehen müssen, oft das Stigma der Niederlage im Rücken, die ihnen von Funktionären eingeflößte Hoffnung einer nahenden Rückkehr im Sinn, angekommen dort, von wo kurz vorher der Zweite Weltkrieg ausgegangen war und wo vieles noch in Trümmern lag.

Die Geschichte dieser griechischen Kinder in den DDR-Städten lässt – wie durch ein Vergrößerungsglas betrachtet – die europäische und speziell auch die deutsche Nachkriegsgeschichte sichtbar werden. Im Film sollen Menschen zu Wort kommen, die einerseits Opfer der Ideologien und des Kalten Krieges geworden waren, von denen jeder Einzelne andererseits aber auch „seines eigenen Glückes Schmied“ war, je nachdem, welche Entwicklung er in der DDR nahm. Nicht wenige von ihnen sind heute sogar der Meinung, dass sie in Griechenland selbst vermutlich nie eine so gute Ausbildung erhalten und z.B. nie so viel klassische Musik gehört hätten, nie so oft ins Theater oder in die Gemäldegalerie gegangen wären.

Zeitzeugen, Dokumente, die Orte in der DDR, wo „die Griechen“ damals lebten, lernten und arbeiteten, Freunde, Rückkehrer, Hiergebliebene, Familiengeschichten, die nächste Generation – es ist die Geschichte des 20. Jahrhunderts, die sich auf besondere Art und Weise aus den ganz privaten Geschichten ablesen lässt.
Die aktuelle, höchst kritische und nicht nur wirtschaftlich, sondern auch politisch sehr angespannte Situation Griechenlands lässt den grausamen Bürgerkrieg und dessen Folgen als eine der Ursachen für die derzeitigen Zustände erkennen. Dieses Trauma ist nicht nur eines der damals unmittelbar Betroffenen, sondern es ist eines, dessen Auswirkungen gegenwärtig im auch eklatanten Erstarken rechtsradikaler Kräfte sichtbar werden. Die Wunden haben sich niemals geschlossen, die Thematik wurde nur ansatzweise aufgearbeitet, viele der Feindschaften blieben bestehen und treten jetzt wieder offen zutage.

Diese Erkenntnis ist überraschend und über diese Umstände kaum etwas bekannt, aber der kaum noch wahrnehmbare Gegenwartsbezug ist trotzdem deutlich. Eine Geschichte aus dem Kalten Krieg, die ins Heute führt.

Ina Kutulas