Die sind alle Taliban …
Gerade läuft im Parlament der „letzte Akt der Schande“ wie mein kommunistischer Freund, der ewige Student Makis sagt. Am Tisch wir beide und Rita, eine zwanzigjährige, sehr begabte Schauspielerin aus Thessaloniki, die in London bereits in zwei Hauptrollen spielen konnte, aber seit mehr als zwölf Monaten in Athen ohne Job gestrandet ist. Wir sitzen in einem Café und verfolgen im Fernsehen die Parlamentsdebatte über das neue Memorandum für Griechenland. Makis knabbert seine Sonnenblumenkerne und flucht ununterbrochen auf die SYRIZA-Regierung.
Tsipras sagt kurz vor der Abstimmung: „Ich hatte nur drei Möglichkeiten: 1. einen verheerenden Staatsbankrott, 2. ein für Griechenland sehr schlechtes Abkommen und 3. den von Herrn Schäuble vorgeschlagenen geordneten Grexit. Ich habe mich schweren Herzens für die meiner Meinung nach einzige gangbare Lösung entschieden: das furchtbare Abkommen.“ Ich persönlich hätte mich für die dritte Möglichkeit entschieden – den von Herrn Schäuble angebotenen Grexit –, das scheint mir sehr vernüftig und die besten Aussichten auf Erfolg für Griechenland zu haben, aber diesen Gedanken kann ich hier nicht laut äußern.
Rita nimmt mich beiseite und sagt: „Ich halt es hier nicht länger aus mit diesen Griechen. Du verstehst das. Du lebst in Berlin. Hör dir deinen Freund Makis an. Das sind hier alles Taliban. Die wissen nicht, was sie wollen. Sehen die nicht, dass die deutsche Regierung unser Feind ist? Sie will uns vernichten, und Tsipras hat widerstanden.“ Ich nehme ihre Hand in meine Hände und sage: „Keiner will dich vernichten.“ Ihr steigen Tränen in die Augen, sie zieht ihre Hand zurück, stößt unsere drei Gläser vom Tisch und schreit: „Was kann ich dafür, dass ich so gut aussehe und dass mich jeder bescheuerte Regisseur und jeder bescheuerte Produzent beschlafen will? Ich will jedenfalls weder deren Plop-Love-Shots noch deren Kohle dafür. Ich will einfach arbeiten können und damit Geld verdienen. Ich werde dieses Scheißgriechenland verlassen. Taliban … Die sind alle Taliban.”
Viele Stunden nach der Abstimmung im Parlament und endlose Gespräche später nehme ich bei all meinen Bekannten und Freunden eine seltsame Mischung aus Wut und Erleichterung wahr – verbunden mit viel Trotz. Und die merkwürdige Gewissheit, die Makis so in Worte fasst: “Die deutsche Regierung hat uns geschlagen und gemartert, aber wir haben widerstanden und sind nicht besiegt.“ Und allseits die große Erleichterung, noch in der Euro-Zone zu sein – und sei es mit diesen harten Sparauflagen. Meine Tante sagt am Telefon: „Wir haben Krieg und Bürgerkrieg überstanden und auch die Juntazeit und das Kriegsrecht. Mach dir keine Sorgen um uns. Wir werden auch dieses Spardiktat noch überstehen.“
© Asteris Kutulas, 16.7.2015
(Athens Photos by © Ina Kutulas)