Diese Brandmarkung, diese Stigmatisierung des griechischen Volkes als „Schuldigen“ für alles, wofür die griechischen Machteliten und Oligarchen sowie das herrschende europäische „System“ verantwortlich sind, ist unerträglich geworden.
Was ich zudem als beschämend und entwürdigend für eine Vielzahl von „europäischen“ Politikern und Medien empfinde, ist nicht nur deren Arroganz und Herablassung dem griechischen Volk gegenüber, sondern vor allem ihre menschenverachtende Ignoranz: In Griechenland sterben aufgrund der sozialen Katastrophe tagtäglich Menschen, weil sie keine medizinische Versorgung mehr haben oder aus Verzweiflung Selbstmord verüben oder weil die Kindersterblichkeit aufgrund der Krise in die Höhe geschossen ist – es geht also um Leben und Tod –, und in Deutschland und vielerorts in Europa wird so „argumentiert“, als hätten es diese Tausenden von Opfern „verdient“, zugrunde zu gehen und auf diese Art und Weise von der Erdoberfläche zu verschwinden. Im besten Fall schweigt man darüber.
Die anhaltende Stimmungsmache gegen „die Griechen“ führt dazu, dass der griechische Botschafter in Berlin telefonisch Morddrohungen erhält und dass man mir in einem Berliner Lokal an den Kopf wirft, dass – wenn wir Griechen nicht endlich das tun würden, was man uns sagt – man uns ein paar Panzer „runterschicken“ wird. (Das haben bereits die USA 1967 gemacht und uns eine 7jährige Militärdiktatur beschert, zu der ja Herr Strauß und die CSU sehr gute Beziehungen unterhielten.)
Für mich als Germanisten, für den „LTI“ von Victor Klemperer seit 35 Jahren ein Kultbuch ist, stellt sich inzwischen immer vehementer die Frage, ob diese sprachliche Volksverhetzung und „Kriegstreiberei“ dazu führt, dass wir Griechen uns bald auch als „Juden“ fühlen werden – wie ein israelischer Freund mir letztes Jahr in Tel Aviv solidarisch anbot. Ich kam darauf, als ich 2013 auf einem Plakat des Jüdischen Museums von Berlin neben dessen Überschrift „Die Juden sind an allem schuld“ den hingekritzelten Satz las: „Jetzt sind’s die Griechen“.
Ich als Grieche und als deutscher Steuerzahler möchte jedenfalls nicht mehr Teil DIESES Europas sein. Das, was hier in Deutschland passiert, empfinde ich inzwischen als „Krieg“, angefacht von skrupel- und verantwortungslosen Politikern und Journalisten (bei weitem nicht alle, aber doch genug) … Wir Griechen müssen unbedingt raus aus dem Euro und raus aus DIESEM unmenschlichen Europa. Und wäre ich ein Jude, würde ich jetzt nach Israel auswandern … Mein Gott, was ist aus Deutschland geworden?
Asteris Kutulas
Berlin, 9.3.2015
P.S. – Ich habe in einer Analyse gelesen, dass in über 120 Ausgaben der Bild-Zeitung das herabsetzende Wort „Pleite-Griechen“ benutzt wurde, zumeist in fetten Titelzeilen. Und da fiel mir der treffende Satz von Klemperer ein: „Worte können sein wie winzige Arsendosen: sie werden unbemerkt verschluckt, sie scheinen keine Wirkung zu tun, und nach einiger Zeit ist die Giftwirkung doch da.“ (LTI)
Hier drei – der unzähligen – Beispiele aus den letzten zwei Wochen:
1) Spiegel online veröffentlichte folgenden Schmähbrief an einen griechischen Gastronomen in Düsseldorf:
„In der Sonne liegen ist doch viel bequemer, insbesondere wenn andere dafür aufkommen … So geht es nicht !! Wir werden, solange diese Regierung derart schäbig, insbesondere fleißige und sparsame Europäer und Deutsche verunglimpft und beleidigt, ganz sicher keine griechischen Waren mehr kaufen, sondern auch Euren Laden ab sofort nicht mehr betreten !! Verkauft doch Eure Waren besser nicht mehr an die „Scheißdeutschen“, sondern macht Euch auf und zurück in Euer korruptes, stinkendfaules und total unfähiges Drecksgriechenland !! Griechenland NEIN DANKE !!!!!!!!!“
2) Auf Focus online lautet am 27.02.2015 die Schlagzeile zum Beitrag von online Redakteur Markus Voss: „Darauf einen Ouzo: Ein Drittel von Griechenland gehört bald uns“. Kein Kommentar – und ich mag die Assoziation, die ich dabei hatte, gar nicht aussprechen…
3) Die Bildzeitung bezeichnete im Rahmen ihrer Aktion vom 26.02.2015 sämtliche Bürger Griechenlands als GIERIGE GRIECHEN – und tausende deutscher Mitbürger schlossen sich dieser Kampagne an.