Photo by Peter Becker, Apassionata, Asteris Kutulas

Meine Apassionata-Story, Teil 1 (Riesa-Tagebuch 2018)

Apassionata-Tagebuch, Riesa, 12. Oktober (abends)

Apassionata Pferde-Show Produktion „Der magische Traum“

Gestern in Riesa angekommen. Apassionata Proben. Momentan noch völlig entspannte Atmosphäre. Die Welt hier atmet outdoor Altweibersommer. In der Halle atmen wir Apassionata. Am aufgeregtesten sind wohl die Pferde, die sich langsam an die Musik, an die neue Umgebung, an das Showlicht gewöhnen müssen. Ich habe Respekt vor den Vierbeinern. Obwohl ich sie nicht verstehe. Ein mächtiger schwarzer Friese schaut mich an aus seinen großen runden Augen. In diesen schwarzen Spiegeln sehe ich mein Abbild und bin sofort auf mich zurückgeworfen. Um mich herum ein Gewirr von Stimmen und Sprachen. Techniker, Reiter, Künstler. Heike kommt aus der Kostümbildnerei, schiebt mich sanft beiseite und geht – bepackt mit zahlreichen Steam-Punk-Outfits – die vier Waschmaschinen anschmeißen.

Apassionata, Riesa, Asteris Kutulas

Für mich ist es das zehnte Mal: Apassionata in der Sportstadt Riesa (die sich den Sport inzwischen nicht mehr leisten kann), in einer Stadt, die zu DDR-Zeiten berühmt war wegen der VEB Zündwarenwerke. Alle Streichhölzer der DDR wurden im sächsischen Riesa produziert. Auf allen Streichholzschachteln stand: Riesa. Heute hat Holger Ehlers hier, in der Sachsenarena, das Sagen. Der Kreativdirektor der Apassionata zeigt auf einige Reiter mit ihren Pferden und prophezeit: „Das wird eine tolle Show“. Er muss es ja wissen. Holger hat die Entwicklung der Apassionata von Anfang an, also seit 2002, mitgemacht. 2010 übernahm er dann den Job des Apassionata-Regisseurs und -Autors.

„Hans, das Pferd“ taucht auf in diesem Moment, schaut sich um und trabt weiter. „Hans, das Pferd“ reagiert immer äußerst sensibel auf die Musik. „Hans, das Pferd“ ist everybodys Darling, denn es hat die Aufgabe übernommen, die Kreatur zu sein, die Schuld hat an großen und an kleinen Übeln. Von einigen wird „Hans, das Pferd“ aber auch als Glücksbringer gesehen. Heike drückt auf die Start-Knöpfe aller vier Waschmaschinen.

Peter Massine ist heute da, der Gründer und Produzent der Apassionata. Peter ist nachdenklicher geworden, „philosophischer“. Und trotz des „lästigen“ Umstandes, dass ihm noch immer ein übermächtiger Gegner Kontra gibt, scheint er zufrieden zu sein. Er sagte vorhin zu mir: „Ich saß eben noch im Auto. Ich fuhr die Strecke Berlin-Riesa und konnte nicht glauben, dass wir es tatsächlich geschafft haben. Dass ich überlebt habe. Dass Apassionata überlebt hat. Wahnsinn!“ Hinter Peter liegen zwei schwierige Jahre. Er hat gerade als Hauptakteur (in Gestalt sowohl des Haupt-Täters als auch des Haupt-Opfers) eine der spektakulärsten Schlachten der deutschen Entertainment-Branche (irgendwie) „überstanden“. Jetzt ist es ihm offensichtlich gelungen, eine zukunftsträchtige Basis für seine Apassionata zu schaffen – mit Hilfe seines Freundes und Kreativdirektors Holger Ehlers, der in den letzten beiden Jahren die Produktion am Leben und zusammengehalten hat, und vor allem mit Hilfe seines neuen strategischen Partners „Live Nation“, der in den nächsten 11 Jahren die Apassionata veranstalten wird.

Schlacht um die Apassionata Pferde-Show

Die Schlacht um die „Apassionata“ war (und ist) knallhart und gnadenlos. Sie nahm zuweilen skurrile Züge an und war bestimmt von Gier, Verrat und Hybris. Die multiplen Auseinandersetzungen zwischen Peter und seinem früheren Partner, dem chinesischen Hongkun-Konzern, erreichten in der Saison 2017/18 ihren Höhepunkt, als zwei Apassionata-Shows zugleich on Tour waren. Die Apassionata von Peter Massine („Apassionata – Der Traum“) und die Apassionata  der chinesischen Apassionata World GmbH („Apassionata – Gefährten des Lichts“). So etwas hat es, meines Wissens nach, noch nie in der deutschen Entertainment-Industrie gegeben. Für das Apassionata-Publikum konnte die Sache verwirrender nicht sein.

Die Ursache des Ganzen: Peter hatte versucht, seine chinesischen Partner über den Tisch zu ziehen, die haben sich gewehrt und ihm im Gegenzug als Reaktion darauf sein Unternehmen (die Apassionata World GmbH), seine Mitarbeiter und seine Infrastruktur „weggenommen“. Dass die „Chinesen“ damit sehr weit gekommen sind, hat sicherlich damit zu tun, dass Peter in der Vergangenheit sowohl falsche Personalentscheidungen getroffen als auch unternehmerisch fatale Fehler gemacht hat. Ich meinte heute: „Klar, dafür musst du büßen. Aber sicher hätte es nicht so sein müssen, auf diese Art und Weise …“. Peter lächelte bitter und fragte mich: „Erinnerst du dich daran, wie unsere Apassionata-Zusammenarbeit begonnen hat?“

Apassionata, Gert Hof, Asteris Kutulas
Plakatentwurf zu Gert Hof’s „Sehnsucht“-Inszenierung von 2008

Gert Hof & die Apassionata Pferde-Show

Ja, ich erinnere mich. Als ich mit dem Regisseur und Lichtkünstler Gert Hof zusammenarbeitete, haben wir ab 1999 mit Peter bei diversen Gert-Hof-Events kooperiert. 2006 konfrontierte Peter mich zum ersten Mal mit seinen Sorgen hinsichtlich der Apassionata-Show. Er glaubte – im Gegensatz zu seinem damaligen Partner – an eine Zukunft der Show, war aber zu der Erkenntnis gekommen, dass „Apassionata“ als traditionelle Pferde-Nummern-Gala ein auslaufendes Modell sei. Ein neues Konzept wurde gebraucht. Wir einigten uns 2007, Gert Hof mit einer Apassionata-Produktion zu beauftragen, um der Show eine neue Richtung und Qualität zu geben. Das tat Gert auch, mit der Apassionata „Sehnsucht“-Show. Gert Hof konnte eins perfekt: großartig inszenieren. Das sah man bei den Licht-Events. Das sah man bei der Rammstein-Bühnenshow. Das sah man bei seinen Theaterinszenierungen.

Zwischen 1998 und 2010 war ich Partner, Manager und Produzent von Gert Hof, mit dem zusammen ich in dieser Zeit mehr als 40 Events weltweit produzierte. Gert hielt die Musik für die eigentliche Basis seiner Shows. Jedes Mal investierte er sehr viel Zeit in diese „Basis“. Er sagte immer: „Asteris, die Musik ist die Mutter!“ Die Zusammenarbeit mit den Komponisten und Musikern unserer Events war immer aufregend und äußerst inspirierend: im Waldhaus des Tangerine-Dream-Komponisten Klaus Schulze, bei Mike Oldfield außerhalb Londons, im Berliner Aufnahme-Studio von Max (Westbam) und Klaus Jankuhn, bei Mikis Theodorakis gegenüber der Akropolis etc. etc.

Apassionata, Mike Oldfield, Asteris Kutulas
Mike Oldfield & Gert Hof, Photo © by Asteris Kutulas
Apassionata, Westbam, Asteris Kutulas
Westbam & Klaus Jankuhn, Photo © by Asteris Kutulas
Udo Lindenberg, Gert Hof, Asteris Kutulas
Udo Lindenberg & Gert Hof, Photo © by Asteris Kutulas

So lernte ich bei mehreren Sessions im Tonstudio – während der Apassionata-Produktion „Sehnsucht“ im Jahr 2008 – Holger Ehlers kennen, der für diese Show die Musik nach den Wünschen von Gert produzierte. Dieser Prozess dauerte – wie bei Gert üblich – mehrere Monate. Es wurde an jeder Sekunde gefeilt. Die inszenatorische Leistung von Gert (der auch das Buch schrieb, Licht, Choreographie und Kostüme bestimmte und natürlich Regie führte) war einmalig für eine Arena-Show und kann nur mit „grandiosem Theater“ umschrieben werden.

Rammstein-Inszenierung für Kinder

ABER: Gert Hof war zu Apassionata 2008 wie aus dem finsteren Nichts des Alls gekommen, war wie ein Komet in die bis dahin friedlich-schöne Apassionata-Welt eingeschlagen, und seine Inszenierung hatte eine „Schneise der Verwüstung“ hinterlassen. Diese „Rammstein-Inszenierung für Kinder“ war phänomenal, das Beste, was ich auf einer Arena-„Bühne“ je gesehen hatte, seiner Zeit weit voraus, aber für die Apassionata-Kinder ein Schock. Sie nahmen scharenweise Reißaus. Sogar „Hans, das Pferd“ wurde manisch melancholisch.

Nach Gerts Apassionata-Geschichte brauchte die Menschheit jedenfalls erstmal eine gehörige Portion „Herr der Ringe“, für längere Zeit, ehe es sich an finstere Szenen gewöhnt hatte und schwarze Reiter und böse Frauen und andere ungute Zeichen furchtlos erwartete, ja, sogar auf diese gefasst war. Die dunkle – fast „dystopische“ – Gert-Hof-Apassionata-Inszenierung von 2008 hatte nichts mit dem bis dahin traditionellen Apassionata-Publikum zu tun gehabt, so dass die Show – im laufenden Tour-Betrieb – uminszeniert werden musste, um das Überleben des Apassionata-Unternehmens zu sichern. Diese Aufgabe übernahmen im Herbst 2008 Marcus Gerlach und Holger Ehlers, und sie retteten damit nicht nur die Apassionata, sondern auch … „Hans, das Pferd“.

Peter Massine ist vor einer Weile vom Tisch aufgestanden und hat gesagt: „Lass uns in die Arena gehn, die Proben laufen.“ Tatsächlich, der Catering-Raum ist inzwischen leer, alle sind auf ihren Posten. Die vier Waschmaschinen surren leise vor sich hin, die Steam-Punk-Kostüme drehen sich im Uhrzeigersinn, und Hund Woppi scharwenzelt um meine Füße und will gekrault werden.

Zweifellos, it’s Riesa Apassionata Time. Auch für „Hans, das Pferd“. Morgen geht’s weiter.

© Asteris Kutulas, 12.10.2018

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