Kreta-Tagebuch, 3.6.2016

Kreta, eigentlich
(Mit Mikis Theodorakis unterwegs in Kreta)

Das Flugzeug von Athen nach Chania ist voll. Mein Sitznachbar zur Rechten, der ein offenbar großes Redebedürfnis hat, erklärt mir: „Kreta gehört eigentlich nicht zu Griechenland. Kreta ist das eigentliche Griechenland.“ Links neben mir sitzt Anastassia, eine griechische Lyrikerin, die aus dem selben Grund wie ich nach Kreta fliegt. Sie meint: „Vielleicht ist das seine letzte Reise. Da muss man dabei sein.“ Vorn in der ersten Reihe der fast 91jährige Mikis Theodorakis mit seiner Tochter Margarita und seiner Assistentin Rena. Das ist vielleicht tatsächlich seine letzte Reise. Am Telefon hatte er mir gesagt: „Ich muss checken, ob sie mein Grab richtig bemessen haben. Ich bin 1,97 groß, und ich will nicht, dass sich während meiner Beerdigung plötzlich herausstellt, dass das Grab zu kurz ist.“ Die griechische Ikone Theodorakis fliegt nach Kreta, in das Land seiner Vorfahren, um in Galatas, dem Vorort von Chania, das zukünftige Theodorakis-Museum zu besichtigen, das im Haus seiner Eltern eingerichtet wird.

Gleich nach meiner Ankunft besuchte ich Stelios Lainakis. Einer der bedeutendsten Erforscher kretischer Musik. Der Taxifahrer, der mich zu ihm hinbringt, fragt mich: „Kannst Du auf die Quittung verzichten? Dann verdiene ich wenigstens was. Die Mehrwertsteuer ist auf 24% erhöht worden, Benzin ist teurer geworden und auch die Wartung. Weisst Du, wieviel hängenbleibt bei mir als Fahrer von den 25 Euro? 3,50 Euro! Davon kann man nicht leben, nur langsam sterben, und hoffen, dass man nicht krank wird. Mit meinen 55 Jahren und bei der Arbeitslosigkeit habe ich keine Chance. Komme mir inzwischen wie ein Bettler vor. Die Krise frisst uns alle auf.“

Stelios Lainakis zeigte mir die Instrumente, die er entweder geerbt oder selbst gebaut hatte: Laute, Bouzouki, Saz, Bulgari, Gitarren. Dann holte er seinen Sohn Leonidas, der wie er Instrumentenbauer und Musiker ist, und sie spielten mir eine Mantinada, ein kretisches Volkslied, für Mikis vor. „Du nimmst das jetzt auf und spielst ihm das vor. Ist das klar?“ Als sie fertig waren, sagte er zu mir: „Diese Mantinada hat einer unserer Onkel geschrieben, der wie Mikis erst gegen die deutsche Wehrmacht und dann im Bürgerkrieg Ende der 40ern gegen die Engländer gekämpft hat. Also genau wie Mikis. Er wird jedes Wort des Liedtextes verstehen.“ Und dann voller Stolz: „Weißt du, was Mikis auf der Todes-Insel Makronisos seinen Folterern entgegnete, als er die Reueerklärung unterschreiben sollte? Er hat nicht gesagt: Ich unterschreibe nicht, weil ich Kommunist bin. Sondern er hat gesagt: Ich unterschreibe nicht, weil ich Kreter bin.“

© Asteris Kutulas